Veranstaltung: | 118. Vollversammlung des Landesjugendringes Rheinland-Pfalz e.V. |
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Tagesordnungspunkt: | Konferenzteil |
Status: | Beschluss |
Beschlossen am: | 05.04.2025 |
Antragshistorie: | Version 2 |
TOP 10.3 Gerechte Jugendpolitik heißt Armutsbekämpfung!
Beschlusstext
Adressat*innen: die Vollversammlung des LJR
Die Vollversammlung beauftragt den Vorstand und den Hauptausschuss mit der
Fortführung und Einrichtung der Arbeitsgruppe Kinder- und Jugendarmut als
Gremium des Landesjugendrings. Kinder- und Jugendarmut muss ein Schwerpunktthema
des LJR werden, denn Jugendpolitik heißt Teilhabe und umfassende Teilhabe für
alle Kinder und Jugendliche ist nur durch Armutsbekämpfung gewährleistet!
Die AG Kinder- und Jugendarmut hat das Ziel,
• den Vorstand/die Verbände zu Kinder- und Jugendarmut zu beraten und politische
Forderungen zu entwickeln,
• das Thema wiederkehrend zu platzieren und auf die Agenda zu setzen,
• Information, Sensibilisierung und Fortbildung der Verbände zu fördern,
• über aktuelle Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren.
Dies schließt mit ein:
Verbände stellen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Handlungs- und
Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene bereit,
Förderbedarfe aufzuzeigen und sich für niedrigschwelligen Zugang zu
Fördermöglichkeiten einzusetzen.
Begründung
Die AG Kinder- und Jugendarmut wurde durch einen im Hauptausschuss 2024
angenommenen Beschluss („Kinder- und Jugendarmut geht uns alle an“) ins Leben
gerufen, der ursprünglich aus einer Auseinandersetzung mit der für 2025
geplanten Kindergrundsicherung resultierte. Nach der Aufnahme der Arbeit der AG
und dem Scheitern der Einführung der Kindergrundsicherung wurde schnell klar,
dass das Thema Kinder- und Jugendarmut jedwede mögliche Unterstützung benötigt,
um sowohl in den Medien als auch in der Politik präsent zu bleiben. Denn
aktuelle Statistiken und Studien (siehe unten) zeigen deutlich, dass das Problem
der Armut und Armutsgefährdung unter Kindern und Jugendlichen keineswegs
abnimmt, sondern auf einem alarmierend hohen Niveau verharrt. Alleine in
Rheinland-Pfalz gilt mehr als jedes fünfte Kind als armutsgefährdet; Brennpunkte
sind hauptsächlich Städte wie Pirmasens, Ludwigshafen und Kaiserslautern.
Gleichzeitig wird bei einer Auseinandersetzung mit den bereits bestehenden
Fördermöglichkeiten und Ansätzen zur Eindämmung von Kinder- und Jugendarmut
deutlich, dass Vereinen und Verbänden – auch von Seiten der Politik – eine nicht
zu unterschätzende Aufgabe zufällt, denn diese haben häufig den bei staatlichen
Institutionen fehlenden Zugang zu den Betroffenen.1 Nicht zuletzt aus diesem
Grund ist es ein Hauptanliegen der AG Kinder- und Jugendarmut, Kinder- und
Jugendverbandsarbeit für alle zu ermöglichen und den Verbänden und Vereinen die
bestmögliche Unterstützung zu liefern.
Obwohl Armut oder Armutsgefährdung gerade im Hinblick auf Chancengleichheit,
Bildung und kulturelle Teilhabe keine Ausschlusskriterien sein sollten, sind sie
dies häufig. Faktoren wie das Aufwachsen in prekären Familienverhältnissen
jeglicher Art, ein Migrationshintergrund, das Leben mit Behinderung oder
chronischen Erkrankungen und das Aufwachsen in alternativen Formen der Betreuung
sowie weitere Start- und Rahmenbedingungen wirken sich zumeist von Geburt an auf
die Armutsgefährdung einer Person aus.2 All diese Faktoren sind bereits seit
einigen Jahren als deutliche Probleme unserer Gesellschaft benannt worden,3 die
für die Betroffenen teils ein ganzes Leben lang Nachwirkungen mit sich ziehen
und einen Ausstieg aus der Armutsspirale enorm erschweren. Eine Verbesserung der
Lage in Armut lebender oder armutsbedrohter Kinder und Jugendlicher ist jedoch
in den letzten Jahren trotz dieser Erkenntnisse nicht erfolgt. Vielmehr ist nach
dem kurzen Anstieg der Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen des Scheiterns
der Kindergrundsicherung 2024 der Eindruck entstanden, dass das Thema von Seiten
der Politik nicht weiterverfolgt wird und keinerlei Priorität mehr besitzt.4
Dabei fördert der Zugang zu Bildung nachweislich die Demokratisierung sowie die
Chancengleichheit und schützt vor Radikalisierung5 – wodurch gleich einer
weiteren aktuellen Herausforderung aktiv entgegengewirkt werden könnte. Aus
diesem Grund sehen wir auch hier dringenden Handlungsbedarf und setzen uns als
Jugendverbände verstärkt für die Präsenz der Thematik in der Politik ein.
Ebenso ist auch die Bedeutung von Bildung und Kultur für die Armutsbekämpfung
bereits erkannt worden,6 doch – gleichwohl wie im Falle der Kindergrundsicherung
– lässt die Verwirklichung der Teilhabe in diesen beiden Punkten zu wünschen
übrig. Wenn dazu ebenfalls bei diesem Punkt – wie oben bereits angeklungen – von
Regierungsseite derart auf die Beteiligung und Unterstützung von Verbänden und
Vereinen gezählt wird,7 sollten die zu diesem Zweck ins Leben gerufenen
Fördermöglichkeiten8 unbedingt niedrigschwelliger gestaltet werden! Die
Antragsstellung für die einschlägigen Fördermaßnahmen ist sowohl für
Privatpersonen als auch für Verbände und Vereine häufig mit zu hohen Hürden,
einem enormen Arbeitsaufwand, einer hohen Bringschuld sowie kurzen Fristen
verbunden. Gleichzeitig sind die Beantragungsprozesse für Privatpersonen bei
Behörden oder im (Schul)Alltag extremst schambehaftet, da fast immer einer*einem
Leiter*in bzw. einer Person des Lehrpersonals die eigene prekäre Situation
offengelegt werden muss.9 Hier muss dringend an niedrigschwelligeren Lösungen
für alle Beteiligten gearbeitet werden!
Eine weitere diesbezügliche Herausforderung für Verbände und Vereine stellt die
Erreichbarkeit der armutsgefährdeten oder armutsbetroffenen Kinder und
Jugendlichen dar. Denn Kinder und Jugendliche, die in Familien mit finanziellen
Defiziten aufwachsen, sind weitaus weniger in Vereinen und Verbänden aktiv oder
besuchen deutlich weniger Kulturveranstaltungen, als Kinder und Jugendliche aus
einem finanziell gesicherten Haushalt.10 Aus diesem Grund möchten wir uns
insbesondere für kostenlose und niedrigschwellige Angebote sowie für die
Unterstützung bei der Beantragung von Fördergeldern aussprechen – dies ist
allerdings nicht möglich, wenn die Förderungen für die Kinder- und Jugendarbeit
ständig sinken oder sogar gestrichen werden! Auch hier bedarf es einer
öffentlichkeitswirksamen, dauerhaften Strategie.
Insbesondere der letzte Punkt zeigt die Notwendigkeit der permanenten
Platzierung des Themas Kinder- und Jugendarmut in Presse und Politik aus der
expliziten Sicht der Verbände und Vereine deutlich auf. Genau hier möchten wir
als AG Kinder- und Jugendarmut ansetzen, um unseren Vereinen und Verbänden als
kompetente Ansprechpartner*innen zur Seite zu stehen und, um das wichtige Thema
Kinder- und Jugendarmut angemessen in der Politik präsent zu halten.
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Fußnoten:
1 Siehe „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz, S. 28;
„Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 22; 24.
2 Siehe „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 13ff.; 20.
3 „Internationale Studien bescheinigen Deutschland einen besonders starken
Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Armutsgefährdung.“ („Aktionsplan zur
Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz, S. 15) „Empirisch belegt sind
unter anderem Zusammenhänge zwischen den Faktoren Bildung, Gesundheit,
Erwerbslosigkeit und Einkommen. Personen, die einen niedrigen Bildungsabschluss
haben, tragen zugleich ein höheres Risiko, arbeitslos und in prekären
Einkommenslagen zu sein. Auch Krankheit und ein geringer Bildungsstand der
Eltern sind mit geringeren materiellen Ressourcen assoziiert.“ („Neue Chancen
für Kinder in Deutschland“, S. 20)
4 Vgl. die Ambitionen der Bundesregierung bezüglich der Kindergrundsicherung wie
in „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 24f. beschrieben. Verstärktes
Engagement für Kinder und Jugendliche wird bereits im „Aktionsplan zur
Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz von 2020 gefordert. (S. 8, 11f.;
14ff.)
5 Siehe „Kräfte bündeln, Zukunft gestalten“, S. 36.
6 Siehe „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz, S. 24ff.;
„Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 20, 32f.; Walper/Riedel 2011.
7 Vgl. „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“, S. 29f.; 35f. Die wichtige Rolle der
Verbände und Vereine bei der Umsetzung der Regierungsvorhaben ist sogar in einer
Studie untersucht worden. („Neue Chancen für Kinder in Deutschland“, S. 52ff.)
8 Eine Sammlung der aktuellen Fördermöglichkeiten wird derzeit von der AG
Kinder- und Jugendarmut vorbereitet. Ein Verzeichnis von bundesweiten
Fördermöglichkeiten und Maßnahmen findet sich in „Neue Chancen für Kinder in
Deutschland“ ab S. 62.
9 Siehe „Kräfte bündeln, Zukunft gestalten“, S. 37.
10 Siehe Walper/Riedel 2011, S. 14. Studien belegen zudem, dass der
Bildungsstand der Eltern ausschlaggebend für die frühkindlichen Lernerfahrungen
und die aus ihnen resultierende Teilhabe ist. (Siehe ebd. S. 14f.) Auch hier
kann sich die Mitgliedschaft in einem Verband oder einem Verein positiv auf die
kindliche Entwicklung und somit die Teilhabe auswirken.
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Quellen und Hintergründe:
Auch in Rheinland-Pfalz ist mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht.
Insgesamt waren 143.647 und damit rund 21 Prozent der Kinder und Jugendlichen
unter 18 Jahren im Jahr 2021 armutsgefährdet.
Stark betroffen waren, wie auch bundesweit zu beobachten, besonders Kinder von
Alleinerziehenden (44,1 Prozent) und Familien mit drei oder mehr Kindern (30,2
Prozent). Bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 24 Jahren waren 22 Prozent von
Armut bedroht.
Quelle: „Factsheet Kinder- und Jugendarmut“
• „Aktionsplan zur Armutsbekämpfung“ des Landes Rheinland-Pfalz (2020):
https://mastd.rlp.de/fileadmin/06/04_Soziales/Soziales_Dokumente/Aktionsplan_Arm-
de/fileadmin/06/04_Soziales/Soziales_Dokumente/Aktionsplan_Armutsbeka__mpfung_11-
122020.pdf
• „Ein Versprechen an die Jugend“: Zusammenfassung des UNICEF-Berichts (2023):
https://www.unicef.de/informieren/materialien/zusammenfassung-des-berichts-ein-
versprechen-an-die-jugend-/339314
· „Factsheet Kinder- und Jugendarmut“ der Bertelsmann Stiftung zum Thema Kinder-
und Jugendarmut (2023): https://www.bertelsmann-
stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Familie_und_Bildung/Factsheet_BNG_Kinder-
_und_Jugendarmut_2023.pdf
· „Generationengerechtigkeit“: Diskussionspapier des Bundesjugendkuratoriums zur
Generationengerechtigkeit (mit den Unterpunkten Teilhabe, Bildung, Armut und
Grundsicherung) (2024):
https://bundesjugendkuratorium.de/presse/generationengerechtigkeit-fuer-junge-
menschen.html
• „Jugend ermöglichen!“, Broschüre zum 15. Kinder- und Jugendbericht (32018):
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/114190/be92bf1a08ec1d45578d06eb9bd49d18/juge-
nd-de/resource/blob/114190/be92bf1a08ec1d45578d06eb9bd49d18/jugend-ermoeglichen-
jugendbroschuere-zum-15-kinder-und-jugendbericht-data.pdf
• „Kinderarmut in Deutschland“: Informationen von Save the Children zum Thema
Kinderarmut (zuletzt aufgerufen am 13.02.2025):
https://www.savethechildren.de/informieren/themen/kinderarmut-in-deutschland/
• „Kinderarmut inmitten von Wohlstand“: Zusammenfassung der aktuellen UNICEF-
Studie (2023):
https://www.unicef.de/_cae/resource/blob/344088/43de6b4ef81b7b67afe87c9bd43686af-
de/_cae/resource/blob/344088/43de6b4ef81b7b67afe87c9bd43686af/report-card-18-
zusammenfassung-de-data.pdf
• „Kindergrundsicherung: Besser als nichts“: Impuls der Hans Böckler Stiftung
(2024): https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-kindergrundsicherung-besser-
als-nichts-58539.htm
• „Kinder in Deutschland“: Bericht und Studienergebnisse von UNICEF zum Thema
Kinderarmut (2023): https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-
/bericht-kinder-in-deutschland-2023/339164
• „Kindern eine Zukunft garantieren“: Bericht und Handlungsempfehlung von Save
the Children an die EU zum Thema Kinderarmut (2023):
https://www.savethechildren.de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dokumente/Bericht-
de/fileadmin/user_upload/Downloads_Dokumente/Berichte_Studien/2023/save-the-
children-kindern-eine-zukunft-garantieren-2023.pdf
• „Kräfte bündeln, Zukunft gestalten“: Schattenbericht des DBJR zur wichtigen
Rolle von Bildung für die Chancen junger Menschen (2025):
https://www.dbjr.de/artikel/kraefte-buendeln-zukunft-gestalten-beste-bildung-
durch-eine-starke-zivilgesellschaft-ein-appell
• „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“: Nationaler Aktionsplan des BMFSFJ
(2023):
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/231862/4e3eada93af3956e68861c92e3b88c0f/nati-
de/resource/blob/231862/4e3eada93af3956e68861c92e3b88c0f/nationaler-aktionsplan-
neue-chancen-fuer-kinder-in-deutschland-data.pdf
• Studie der Hans Böckler Stiftung zur Kindergrundsicherung (2024):
https://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2024_03_08.pdf
• Zweiter Kinder- und Jugendbericht Rheinland-Pfalz; besonders relevant für
unser Thema sind die Punkte 2.2, 2.3 und 3.1 (2015):
https://www.jugendgerecht.de/downloads/2._Kinder-_und_Jugendbericht_Rheinland-
Pfalz.pdf
• Stellungnahme diverser zivilgesellschaftlicher Verbände und Stiftungen zur
Entbürokratisierung (2023): https://www.stiftungbildung.org/wp-
content/uploads/230424_Stellungnahme_Entbuerokratisierung_StiftungBildung.pdf
• Stellungnahme und Forderungen des Ratschlags Kinderarmut (2024):
https://www.dbjr.de/artikel/ratschlag-kinderarmut-verabschiedet-gemeinsame-
erklaerung
• „Politik vom Kind aus denken“: Info-Seite der Bertelsmann Stiftung zum Thema
Kinder, Familie und Bildung mit vielen Publikationen zum Thema Kinderarmut und
Teilhabe (zuletzt aufgerufen am 13.02.2025): https://www.bertelsmann-
stiftung.de/de/unsere-projekte/familie-und-bildung-politik-vom-kind-aus-
denken#detail-content-193494-3
• Walper, S./Riedel, B. (2011): Was Armut ausmacht. DJI Impulse, 1/2011(92/93),
S. 13–15: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/Was_Armut_ausmacht.pdf
• „Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft“: Arbeitshilfe des Deutschen
Kinderhilfswerks zum Thema Klassismus und Kinderarmut (2023):
https://www.vielfalt-mediathek.de/material/zusammenleben-in-der-
migrationsgesellschaft/klassismus-und-
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