Veranstaltung: | 118. Vollversammlung des Landesjugendringes Rheinland-Pfalz e.V. |
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Tagesordnungspunkt: | Konferenzteil |
Status: | Beschluss |
Beschlossen am: | 05.04.2025 |
Antragshistorie: | Version 2 |
TOP 10.6 Freiwilligendienste Rheinland-Pfalz und deutschlandweit stärken
Beschlusstext
Adressat*innen:
Landesregierung
Landespolitik
Ein Freiwilligendienst, gleich ob Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), Freiwilliges
Ökologisches Jahr (FÖJ) oder einem Bundesfreiwilligendienst (BFD),bietet
Vorteile für alle Beteiligten: Freiwillige können sich persönlich und beruflich
orientieren, wertvolle Erfahrungen sammeln und Anerkennung erfahren.
Einsatzstellen profitieren von zusätzlicher Unterstützung und frischem
Wind durch junge Menschen, die potenziell als zukünftige Fachkräfte gewonnen
werden können. Für die Gesellschaft stärkt das FSJ den sozialen Zusammenhalt,
indem es Begegnungen über soziale und kulturelle Grenzen hinweg ermöglicht,
Berührungsängste abbaut und die Demokratiefähigkeit der Beteiligten fördert.
Aus diesen Gründen tragen wir als Landesjugendring Rheinland-Pfalz den Beschluss
der DBJR-Vollversammlung 2020 „Freiwilligendienste jetzt stärken!“1 voller
Überzeugung mit.
Darüber hinaus fordern wir:
• Eine gesetzliche Garantie und ein entsprechendes Recht auf auskömmliche
Förderung einer jeden Vereinbarung, die zwischen Freiwilligen, Trägern und
Einsatzstellen zustande kommt.• Ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld auf
BaFög-Niveau.
• Eine Abkehr von der politischen Diskussion um einen sozialen Pflichtdienst und
die Beibehaltung der Aussetzung der Wehrpflicht.
• #freiefahrtfuerfreiwillige – Ein Angebot kostenfreier oder kostengünstiger
ÖPNV-
Tickets für alle Freiwilligen in Rheinland-Pfalz. Freiwillige nehmen für ihr
Engagement Wege zur Einsatzstelle in Kauf, für die sie auf den öffentlichen
Nahverkehr angewiesen sind. Busse und Bahnen sind die Verkehrsmittel Nr. 1 für
viele Freiwillige. Freiwillige benötigen eine einfache, kostengünstige
Mobilität, um ihre Dienststelle zu erreichen, Gleichgesinnte zu treffen und ihre
Region zu erkunden. Ein kostenfreies oder kostengünstiges ÖPNV-Ticket stärkt
zudem die öffentliche Wertschätzung ihres Engagements in Freiwilligendiensten.
• Eine Anpassung des Schulgesetzes, welche den Freiwilligendienst generell als
anerkannten Grund für das Aussetzen der Schulpflicht für gültig erklärt. Derzeit
ist dies nur im Rahmen eines befristeten Modellprojekts und ausschließlich in
den Bereichen Pflege oder Erziehung möglich. Dieser Weg ist für die Zielgruppe
unnötig kompliziert und erfordert eine jährliche, kurzfristige Genehmigung durch
das Ministerium, was die Planungssicherheit für Träger erheblich erschwert. Eine
dauerhafte gesetzliche Regelung ist daher dringend erforderlich.
• Die Einführung eines Informationsschreibens einer politisch verantwortlichen
Person
an alle angehenden Schulabgänger*innen mit Informationen und der Einladung, sich
bewusst für einen Freiwilligendienst zu entscheiden.
Begründung
Freiwilligendienste im In- und Ausland sind eine besondere Form des
bürgerschaftlichen
Engagements. Freiwilligendienste fördern das Einnehmen neuer Perspektiven und
die Fähig-
keit, sich mit gegenteiligen Meinungen auseinanderzusetzen und erhöhen die
Sozialkompe-
tenzen. Das Bewusstsein junger Menschen für den Wert von Solidarität und
gesellschaftlichem
Zusammenhalt wird geschärft. In den Einsatzstellen übernehmen Freiwillige
Hilfstätigkeiten,
die Fachkräfte entlasten. Sie treiben Projekte voran, die im Alltag aufgrund
begrenzter
Kapazitäten zurückgestellt werden würden. Gesellschaftlichen
Fragmentierungsprozessen
wird entgegengewirkt, indem sich alle jungen Menschen milieuübergreifend
einbringen
können. Konstitutives Element der Dienste ist die Freiwilligkeit der
Teilnehmer*innen. Denn
nur diese motiviert zu weiterem freiwilligen Engagement.
Die Freiwilligendienste sind aus zivilgesellschaftlichen, kirchlichen Strukturen
hervorgegangen
und werden seit 1964 in gesetzlichen Strukturen geregelt. Die Dienste werden als
Bildungs-
und Orientierungsjahr durchgeführt sowie arbeitsmarktneutral und an den
Interessen der
Freiwilligen ausgerichtet gestaltet. Der Bildungs- und Orientierungscharakter
wird im Freiwilli-
gendienst durch hochwertige pädagogische Begleitung gewährleistet, um die
Persönlichkeits-
entwicklung zu unterstützen.
Dabei ist für uns klar, Freiwilligendienste sind kein arbeitsmarktpolitisches
Instrument sind.
Wir setzen uns für eine angemessene pädagogische Förder- und Forderungspolitik
ein. Freiwil-
lige sollen in ihren Interessen gefördert und gleichermaßen in der Arbeit
gefordert werden,
statt undankbare Aufgaben zu erledigen. Ein Freiwilligendienst ist vielmehr eine
Chance, den
Arbeitsalltag kennenzulernen und sich weiterzuentwickeln. Dies geschieht unter
Einhaltung
der Arbeitsmarktneutralität und gerahmt von qualitativ hochwertiger
Bildungsarbeit.
Noch immer ist es ein Privileg, einen Freiwilligendienst leisten zu können.
Freiwillige erhalten
für ihren Dienst kein Entgelt, sondern lediglich ein Taschengeld, das nicht
ausreicht, um
Lebenshaltungskosten zu decken. Um den Abbau von strukturellen, insbesondere
sozioökono-
mischen Barrieren in den Freiwilligendiensten voranzutreiben, bedarf es auch von
staatlicher
Seite stärkerer Unterstützung. Ein weiteres Hemmnis zur Leistung eines
Freiwilligendienstes
ist das Unwissen, wie und wo ein solcher Dienst geleistet werden kann. Offensive
Werbung
und niedrigschwellige Informationen für ein gesellschaftliches Engagement
überwiegend
junger Menschen in den Freiwilligendiensten sind notwendig, werden zurzeit
allerdings nicht
refinanziert. Gemeinsam mit einer entsprechenden Informationskampagne, einer
„Einladung
der Gesellschaft“ zu einem Freiwilligendienst, könnte die Anzahl an
Freiwilligendienstleisten-
den pro Jahrgang mindestens verdoppelt werden. Nur so wird ein freiwilliges
Recht auf Dienst
zum konkreten Gegenentwurf zu einer unsolidarischen Pflicht zum Dienst.
Junge Menschen müssen nicht zu sinnvollen Tätigkeiten gezwungen werden. Das
beweisen
jedes Jahr rund 100.000 überwiegend junge Menschen, die sich deutschlandweit in
einem Frei-
willigendienst engagieren. Ein Pflichtdienst widerspricht außerdem den
elementaren Freiheits-
und Grundrechten, die der Vorstellung eines solidarischen Miteinanders der
Generation zuwi-
derlaufen, ist paternalistisch und schränkt die Zukunftsperspektiven junger
Menschen ein.
Weiter ist er mit der derzeitigen Fassung des Grundgesetzes unvereinbar, die
Vereinbarkeit
mit der Europäischen Menschenrechtskonvention ist mindestens strittig. Ein
Pflichtdienst
wirkt im Gegensatz zum Freiwilligendienst demotivierend und kann zu
antriebslosem Absitzen
der Dienstzeit führen, was wiederum eine zusätzliche Belastung für die
Einsatzstellen darstellt.
Wer gegen den eigenen Willen zu einem Dienst an der Gesellschaft gezwungen wird,
ist für
den Rest seines Lebens eher der Überzeugung, nun genug getan zu haben, was sich
kontrapro-
duktiv auf das Ehrenamt auswirkt. Wir haben die Sorge, dass sich die
Arbeitsumstände und
pädagogische Begleitung durch einen Pflichtdienst deutlich verschlechtern
würden. Zudem
überschreiten die geschätzten Kosten für einen Pflichtdienst die geschätzten
Kosten für einen
Rechtsanspruch auf Förderung eines jeden geschlossenen
Freiwilligendienstvertrages um den
Faktor fünf bis acht.
Der Freiwilligendienst fällt in die Verantwortung der Bundespolitik, doch auch
das Landesmi-
nisterium hat eine entscheidende Rolle dabei, dieses Anliegen auf Bundesebene
einzubringen.
Gleichzeitig gibt es auf Landesebene verschiedene Stellschrauben, um die
Situation der
Freiwilligen spürbar zu verbessern. In Rheinland-Pfalz können gezielte Maßnahmen
ergriffen
werden, etwa durch bessere finanzielle Unterstützung, eine erleichterte
Anerkennung des
Freiwilligendienstes im Schulrecht oder eine stärkere Förderung von Mobilität
und Werbung,
um mehr junge Menschen für ein freiwilliges Engagement zu gewinnen.
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